Gespräche zur Architektur

„Dauer und Festigkeit“

Gespräch mit Jacob Burckhardt

Die schönste Baukunst auf Erden

Kurt E. Becker im Gespräch mit Jacob Burckhardt

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Carl von Clausewitz

Der überbaute Raum ist das Wesen des Hauses

Kurt E. Becker im Gespräch mit Carl von Clausewitz

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe

Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine.

Kurt E. Becker im Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Vielleicht hat die Baukunst ihren Luxus niemals höher getrieben

Kurt E. Becker im Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe

KEB: Herr Geheimrat, Ziel Ihrer italienischen Reise war ja in erster Linie Rom, aber Sie hatten sich auch einige Abstecher gegönnt – zum Beispiel nach Vicenza, wesentlich „Wirk“-Stadt Andrea Palladios, jenem prägenden Baumeister Oberitaliens in der Renaissance. Lassen Sie uns über diesen großen Architekten miteinander sprechen, aus Ihrem unmittelbaren Erleben in Vicenza heraus.

Goethe: Vor einigen Stunden bin ich hier angekommen, habe schon die Stadt durchlaufen, das olympische Theater und die Gebäude des Palladio gesehen …

Die höchste Schwierigkeit, mit der dieser Mann wie alle neuern Architekt zu kämpfen hatte, ist die schickliche Anwendung der Säulenordnungen in der bürgerlichen Baukunst; denn Säulen und Mauern zu verbinden, bleibt doch immer ein Widerspruch. Aber wie er das untereinander gearbeitet hat, wie er durch die Gegenwart seiner Werke imponiert und vergessen macht, dass er nur überredet! Es ist wirklich etwas Göttliches in seinen Anlagen, völlig wie die Force großen Dichters, der aus Wahrheit und Lüge ein Drittes bildet, dessen erborgtes Dasein uns bezaubert.

KEB: Ein Gebäude Palladios hatte es Ihnen besonders angetan…

Goethe: Unter den Gebäuden des Palladio ist eins, für das ich immer eine besondere Vorliebe hatte, es soll seine eigne Wohnung gewesen sein; aber in der Nähe ist es weit mehr, als man im Bilde sieht … Man muss aber nicht denken, dass der Baumeister sich einen Palast errichtet habe. Es ist das bescheidenste Haus von der Welt, hat nur zwei Fenster, die durch einen breiten Raum, der das dritte Fenster vertrüge, abgesondert sind. Wollte man es zum Gemälde nachbilden, so dass die Nachbarhäuser mitvorgestellt würden, so wäre auch das vergnüglich anzusehen, wie es zwischen sie eingeschaltet ist.

KEB: Auch La Rotonda haben Sie besucht, eine halbe Stunde Fahrzeit mit der Kutsche vor der Stadt gelegen. Lassen Sie uns teilhaben an Ihrem Ausflug dorthin.

Goethe: Es ist ein viereckiges Gebäude, das einen runden, von oben erleuchteten Saal in sich schließt. Von allen vier Seiten steigt man auf breiten Treppen hinan und gelangt jedes Mal in eine Vorhalle, die von sechs korinthischen Säulen gebildet wird. Vielleicht hat die Baukunst ihren Luxus niemals höher getrieben. Der Raum, den die Treppen und Vorhallen einnehmen, ist viel größer als der des Hauses selbst: Denn jede einzelne Seite würde als Ansicht eines Tempels befriedigen. Inwendig kann man es wohnbar aber nicht wöhnlich nennen. Der Saal ist von der schönsten Proportion, die Zimmer auch; aber zu den Bedürfnissen eines Sommeraufenthaltes einer vornehmen Familie würden sie kaum hinreichen. Dafür sieht man es auch in der ganzen Gegend, von allen Seiten, sich auf das Herrlichste darstellen.

KEB: Herr Geheimrat, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Johann Wolfgang von Goethe, geboren am 28. August 1749 in Frankfurt am Main, gestorben am 22. März 1832 in Weimar, Politiker, Minister, Naturforscher, Theaterintendant, gilt als Deutschlands bedeutendster Dichter. Seine „Italienische Reise“ begann am 3. September 1786 und dauerte bis in den April 1788. Genauso wie mein fiktives Gespräch mit Andrea Palladio findet sich ein weiteres fiktives Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe in meinem Buch „Der behauste Mensch. Von vier Wänden und einem Dach über dem Kopf. Im Dialog mit 77 Persönlichkeiten von Aristoteles bis Stefan Zweig“.
Gespräch mit Joseph Görres

Die Baukunst - die vegetabilische unter den Künsten

Kurt E. Becker im Gespräch mit Joseph Görres

KEB: Herr Görres, dass Sie sich als politischer Publizist auch mit dem Themenkomplex Architektur auseinandergesetzt hatten, hat mich denn doch sehr überrascht. Im Ansatz hatten Sie einen Vergleich mit der Malerei gewählt. Lassen Sie uns den Gedanken aufgreifen.

Görres: Und wie die Malerei in der Ruhe der Materie den Wechsel des Lebens und den Fluß der Zeiten bildet, so wird hingegen die Baukunst die starre Ruhe der Natur, und das stille Ausgespanntsein des Äthers darstellen müssen. Ein Tempel ist das weite Universum im kleinen nachgebildet, in die Kuppel hat das unermeßliche Firmament sich zusammen gezogen, und wie die Berge den Himmel stützen, so die Säulenreihen jene Kuppel; ein alter römischer Zirkus, spiegelt er nicht den ganzen Erdkreis wieder, wenn auf seiner Arena die Kämpfer mit gewaltiger Kraft sich den Preis abringen, und die Wagenrenner in wilder Eile nach dem fernen Ziele fliegen, und auf zirkelförmigen Sitzen das Volk teilnehmend dem Kampfe zusieht, und sich für und wider in Parteien teilt?

KEB: Was konkret ist Ihnen die Baukunst?

Görres: ...die Baukunst kann man gleichsam die vegetabilische unter den Künsten nennen; die verschiedenen Säulenordnungen sind nämlich nichts als plastische Nachbildungen des Baumes und seiner Krone, idealisiert gleichsam zum Universalen hin, nach dem Zwecke der Kunst, in sofern das Gebäude selbst eine kleine Welt vorstellen soll. In der indischen Baukunst finden wir daher die dortige Palmen-Vegetation auch wieder; in der entgegen gesetzten gotischen das Nadelholz des Nordens, Tannen und Fichten stellen die schlanken, dünnen, in vielfach gespaltenes Astwerk auslaufenden Säulen vor, und überall treten noch in den vielen Spitzen und durchbrochenen Verzierungen der Gebäude die Nadeln selbst hervor.

KEB: Architektur und Malerei in ihrem konkreten Verhältnis zueinander?

Görres: Nur der griechischen Architektur ist die höhere Idealisierung, die in jenen beiden angedeutet ist, vollständig gelungen, sie hat den Charakter der Pflanzengattung vertilgt, und nur den des Geschlechtes übrig gelassen. Die Malerei wird hingegen vorzüglich das in sich freie und nur von oben her beherrschte Leben bilden, wie es sich in seinen verschiedenen Äußerungen als willkürlich sich selbst bestimmend, oder auch von außen hinein bedingt, tätig wirksam erscheint; das Geistige also, in sofern es der materiellen Natur entgegen steht, und als lebendige Kraft in sie hinüber greift, fällt daher in ihre Sphäre. Doch mag sie eben ihres höheren Ranges über die Baukunst, und ihres weiten Umfanges wegen, auch in die Region der Materie bildend einwirken, die großen Szenen der Natur mag sie ergreifen, und auf eine lebendigere Art sie wiedergeben, als die Architektur es vermag; sie wird dann als Landschaftsmalerei erscheinen, die nichts als die höhere Dignität und das Element der Baukunst ist.

KEB: Ich danke für das Gespräch.

Johann Joseph Görres, ab 1839 von Görres, geboren am 25. Januar 1776 in Koblenz, gestorben am 29. Januar 1848 in München, ein deutscher Hochschullehrer und katholischer Publizist, als Naturphilosoph vor allem durch seine vierbändige Christliche Mystik bekannt,
war bereits als Schüler eines Jesuitengymnasiums ein Anhänger der Französischen Revolution und begeistert von der demokratischen Bewegung, die im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts immer stärker wurde. Görres war einer der einflussreichsten politischen Publizisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Gespräch mit Gerhart Hauptmann

Architektur Ausdruck der Seele

Kurt E. Becker im Gespräch mit Gerhart Hauptmann

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Architektur – die der Existenz nach erste Kunst

Kurt E. Becker im Gespräch mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel

KEB: Herr Professor, die Architektur ist für Sie die erste aller Künste, wie Sie in Ihren Vorlesungen zur Ästhetik betonen?

Hegel: Die Kunst, indem sie ihren Gehalt in das wirkliche Dasein zu bestimmter Existenz heraustreten lässt, wird zu einer besonderen Kunst, und wir können deshalb jetzt erst von einer realen Kunst und damit von dem wirklichen Anfange der Kunst sprechen. Mit der Besonderheit aber, insofern sie die Objektivität der Idee des Schönen und der Kunst zuwege bringen soll, ist sogleich dem Begriffe nach eine Totalität des Besonderen vorhanden. Wenn daher hier in dem Kreise der besonderen Künste zuerst von der Baukunst gehandelt wird, so muss dies nicht nur den Sinn haben, dass sich die Architektur als diejenige Kunst hinstelle, welche sich durch die Begriffsbestimmung als die zuerst zu betrachtende ergebe, sondern es muss sich ebenso sehr zeigen, dass sie auch als die der Existenz nach erste Kunst abzuhandeln sei.

KEB: Schauen wir gemeinsam auf die Anfänge der Architektur.

Hegel: … die Hütte (liegt) als Wohnung des Menschen, der Tempel als Umschließung des Gottes und seiner Gemeinde als das Nächste da, was sich als das Anfängliche annehmen ließe. Zur näheren Bestimmung dieses Anfangs hat man dann nach dem Unterschiede des Materials gegriffen, mit welchem konnte gebaut werden, und sich gestritten, ob die Architektur vom Holzbau ausgegangen … oder vom Steinbau. Dieser Gegensatz ist allerdings von Wichtigkeit, denn er betrifft nicht nur, wie es beim ersten Blick scheinen kann, das äußere Material, sondern mit diesem äußerlichen Material stehen wesentlich auch die architektonischen Grundformen wie die Art der Ausschmückung derselben in Zusammenhang.

KEB: Die Gebäude – sind Mittel oder Zweck?

Hegel: Bei dem Hause und Tempel und sonstigen Gebäuden nämlich ist das wesentliche Moment, auf welches es hier ankommt, dass dergleichen Gebäulichkeiten bloße Mittel sind, welche einen äußerlichen Zweck voraussetzen. Hütte und Gotteshaus setzen Bewohner, den Menschen, Götterbilder usf., voraus, für welche sie aufgeführt werden. Zunächst also ist ein Bedürfnis, und zwar ein außerhalb der Kunst liegendes Bedürfnis vorhanden, dessen zweckmäßige Befriedigung die schöne Kunst nichts angeht und noch keine Kunstwerke hervorruft.

KEB: Lassen Sie uns das konkretisieren.

Hegel: Wenn sich nun aber auch innerhalb der architektonischen Zweckmäßigkeit zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse, teils des täglichen Lebens, teils des religiösen Kultus oder des Staats, der Drang nach künstlerischer Gestalt und Schönheit hervortut, so haben wir bei dieser Art der Baukunst doch sogleich eine Teilung. Auf der einen Seite steht der Mensch, das Subjekt, oder das Bild des Gottes als der wesentliche Zweck, für welchen auf der anderen Seite die Architektur nur das Mittel der Umgebung, der Hülle usf. liefert. Mit solch einer Teilung in sich können wir den Anfang, der seiner Natur nach das Unmittelbare, Einfache und nicht solche Relativität und wesentliche Beziehung ist, nicht machen, sondern wir müssen einen Punkt aufsuchen, wo solch ein Unterschied noch nicht hervortritt.

KEB: Bauwerke, die in sich selbständig dastehen und ihren Zweck und ihr Bedürfnis in sich selber tragen?

Hegel: Dies ist ein Punkt von höchster Wichtigkeit, den ich noch nirgend herausgehoben gefunden habe, obschon er im Begriff der Sache liegt und allein Aufschluss über die mannigfaltigen äußerlichen Gestaltungen und einen Faden durch das Irrgewinde architektonischer Formen geben kann. Solch eine selbständige Baukunst wird sich nun aber ebenso sehr auch von der Skulptur wieder dadurch unterscheiden, dass sie als Architektur nicht Gebilde produziert, deren Bedeutung das in sich selbst Geistige und Subjektive ist und an sich selbst das Prinzip seiner dem Innern durchaus gemäßen Erscheinung hat, sondern Werke, die in ihrer äußeren Gestalt die Bedeutung nur symbolisch ausprägen können. Dadurch ist denn diese Art der Architektur sowohl ihrem Inhalte als ihrer Darstellung nach eigentlich symbolischer Art.

KEB: Worin liegt denn der „Beruf“ der Architektur bzw. des Architekten?

Hegel: … ihr Beruf liegt eben darin, dem für sich schon Vorhändenen Geist, dem Menschen oder seinen objektiv von ihm herausgestalteten und aufgestellten Götterbildern die äußere Natur als eine aus dem Geiste selbst durch die Kunst zur Schönheit gestaltete Umschließung heraufzubilden, die ihre Bedeutung nicht mehr in sich selbst trägt, sondern dieselbe in einem anderen, dem Menschen und dessen Bedürfnissen und Zwecken des Familienlebens, des Staats, Kultus usf. findet und deshalb die Selbständigkeit der Bauwerke aufgibt.

KEB: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, geboren am 27. August 1770 in Stuttgart, gestorben am 14. November 1831 in Berlin, war ein deutscher Philosoph und gilt als wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus.
Gespräch mit Victor Hugo

Die Baukunst – das große Buch der Menschheit

Kurt E. Becker im Gespräch mit Victor Hugo

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Harry Graf Kessler

Architektur setzt einen Zweck voraus

Kurt E. Becker im Gespräch mit Harry Graf Kessler

KEB: Graf, Sie haben eine dezidierte Meinung zum Thema Architektur...

Graf Kessler: Architektur setzt auch immer einen Zweck voraus, der über den Architekten und über das Architekturwerk hinausliegt.

KEB: Ihre Interessen sind vieldimensional. Dementsprechend auch Ihr Nachdenken über Architektur auch hinein ins Religiöse.

Graf Kessler: … die Liturgie berücksichtigte von Anfang an die Durchkreuzung des religiösen Gefühls durch das am Sinnesreiz haftende Sinnesgefühl; und in dem Maße, in dem ihr die organische und klare Verkettung dieser verschiedenen Seelenvorgänge gelang, erreichte sie einerseits die von ihr erstrebte Reinheit der religiösen Gefühlsfarben, näherte sie sich aber andererseits auch der Poesie. Ihr Triumph, in dem die Verschmelzung zum ersten Mal ganz und untrennbar gelang, war der christliche Dom.

KEB: Mit dem christlichen Dom hat es konkret welche Bewandtnis?

Graf Kessler: Beim Dom konnte sich das von der Liturgie geschaffene Gewebe von Phantasie und Gefühlsfarben einer poetischen Konzeption einfügen, die ganz ausgebildet war, die also auch bestimmte und klare Sinnesgefühle einschloss. Denn gleichzeitig mit der Ausbildung der liturgischen Symbolik verwandelte sich die rhythmisch-harmonische Architektur der antiken Basilika aus praktischen, nicht liturgischen Ursachen in eine poetische, das heißt in eine Architektur, die durch die Phantasiereize der Masse und des Gleichgewichts wirken will.

KEB: Die christliche Architektur im Vergleich zur griechischen hat ihre Besonderheiten und vice versa.

Graf Kessler: Die griechische Architektur hatte diese poetische Wirkung auf die Phantasie zurücktreten lassen hinter der rhythmisch-harmonischen auf das Auge; sie kannte als konstruktive Glieder nur die Säule und die aus ihr folgenden Bauteile, die bestenfalls den Sinn der Säule verdeutlichen; der Aufbau sagte deshalb zur Phantasie bei jeder Verwendung dasselbe. – Es spricht für die Tiefe der durch die Gotik herbeigeführten Veränderung des architektonischen Gesichtspunkts, dass feine und geistreiche Ästhetiker wie Burckhardt und Schopenhauer dem beweglichen Geist der Griechen vertrauten, er habe sich immer wieder bei dieser für ihn selbstverständlichen Einfachheit des Stützens aufgehalten.... Man braucht nur an die Berliner Wachen zu denken, die nichts weiter als den Reiz des strammen Stützens haben, diesen aber auch künstlerisch mit voller Ausdrücklichkeit, um die verbreitete ästhetische Einschätzung des griechischen religiösen Monumentalgeschmacks als sachte Komik zu genießen.

KEB: Und dann die Verwandlung der Kirchenarchitektur...

Graf Kessler: Der Wunsch, die Schiffe der antik-christlichen Kirche einzuwölben, ist es gewesen, der die Verwandlung der Kirchenarchitektur in eine poetische einleitete. Er veränderte die Struktur des Baus gerade in den Jahrhunderten, in denen die hellenischen, rhythmisch-harmonischen Formen Reiz und Verständnis verloren; an die Stelle des Säulenrhythmus, der das Auge von Bogen zu Bogen zum Mosaikglanz des Bischofsthrons und der Apsis leitet, rückte deshalb in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit das Gleichgewicht der Gewölbe zwischen den Rippen und Widerlagern und Strebebogen, die wie lauter lebendige und verschieden beschäftigte Glieder die Wölbungen über den Schiffen emporhalten.

KEB: Innen- und Außen-Wahrnehmung des Doms haben ihre spezifischen Besonderheiten?

Graf Kessler: Aus diesem ersten Appell an die Phantasie folgte ein zweiter. Denn die ganze Domstruktur lässt sich nirgends mit einem Blick übersehen. Draußen fassen die Glieder und schließen zusammen, ohne zu zeigen, was sie fassen; das Innere aber wird von Kräften, die hier zum größeren Teile unsichtbar sind, geheimnisvoll emporgehalten. Der Dom entfaltete sich zu einer Konzeption, die daher nicht nur poetisch, sondern sozusagen dramatisch ist; sein Äußeres gleicht einer Exposition; die sichtbar tragende Kraft seiner Widerlager und Strebebogen reizt die Phantasie, ohne sie draußen durch sichtbar Gewölbtes, das den aufgetürmten Kräften widerstrebt, zu befriedigen; aber die Spannung löst sich in der schwebenden Majestät des Inneren.

KEB: Schließlich die poetische Konstruktion des Doms?

Graf Kessler: ...deshalb ist, was hier entstand, eine neue, eigene Konzeption. Diese Konzeption ist weder mit der Poesie erschöpft, die aus der Architektur allein sprechen würde, noch mit dem, was die Liturgie ursprünglich gibt. Dem liturgischen Gewebe von Phantasie und Gefühlsfarben fehlt zur Kunst die Form; durch die Architektur des Domes ergänzt es sich zur Poesie.

KEB: Ich danke für das Gespräch, Graf Kessler.

Harry Clemens Ulrich Graf von Kessler, geboren am 23. Mai 1868 in Paris, gestorben am 30. November 1937 in Lyon, begraben auf dem Père Lachaise in Paris, war ein in Frankreich und England aufgewachsener deutscher Schriftsteller, Publizist, Kunstsammler, Mäzen, Pazifist und Globetrotter, Anhänger Friedrich Nietzsches, Förderer der Berliner Sezession und Mitbegründer des Deutschen Künstlerbunds, befreundet mit Henry van der Velde und Hugo von Hofmannsthal, war der „Geschmackspapst“ seiner Generation und gilt als „Flaneur durch die Moderne“, wie ihn eine ihm gewidmete Ausstellung in Berlin 2016 titulierte.
Gespräch mit Ellen Key

Architektur - die am wenigsten geschätzte Kunst

Kurt E. Becker im Gespräch mit Ellen Key

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Friedrich Nietzsche

Geplagte Sklaven der drei M

Kurt E. Becker im Gespräch mit Friedrich Nietzsche

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Andrea Palladio

Vom Nutzen, der Dauerhaftigkeit und der Schönheit

Kurt E. Becker im Gespräch mit Andrea Palladio

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Hermann Fürst von Pückler-Muskau

Gebäude im Charakter der Landschaft

Kurt E. Becker im Gespräch mit Hermann Fürst von Pückler-Muskau

KEB: Durchlaucht, Sie gelten als Parkanlagen-Genie. Lassen Sie uns über Gebäude in Parks miteinander sprechen. Worauf muss der Architekt achten?

Fürst von Pückler-Muskau: In hohem Grade wichtig ist es, dass Gebäude immer im Charakter der Landschaft erscheinen, mit der sie verwebt sind … Viele unsrer deutschen Architekten beobachten dies zu wenig. Gebäude in der Stadt zum Beispiel verlangen ganz verschiedne Behandlung als in einem Park. Die einen stehen als Ganzes für sich selbst da, die andern sind nur ein wesentlicher Bestandteil des Ganzen, und müssen von ihm die malerische Wirkung erhalten, die sie ihm ihrerseits wieder teilweise zurückgeben; daher sie auch ebenso sehr auf die Ansicht als die Aussicht die sie gewähren berechnet werden müssen.

KEB: Können wir das an Beispiel deutlich machen, bitte.

Fürst von Pückler-Muskau: Im Allgemeinen wird bei Parkgebäuden eine gewisse Unregelmäßigkeit derselben, als mehr konform mit der Natur, als mehr pittoresk, vorzuziehen sein. Ein Tempel der dem Kultus, ein Theater, ein Museum, die der Kunst gewidmet sind, verlangen ohne Zweifel Symmetrie und einen strengeren Stil, das Schloss oder ländliche Wohnhaus aber werden sowohl für Bequemlichkeit als äußern Effekt, durch größere Ungebundenheit gewinnen. Die Anlagen der Alten, wie sie uns aus ihren Trümmern entgegentreten, zeigen bei Villen und Landschlössern ganz die Befolgung desselben Prinzips. Das größte Beispiel hiervon ist wohl die Villa des Hadrian bei Tivoli. Auch bei den Italienern, während ihrer Blüte im 15ten und 16ten Jahrhundert, finden sich noch häufige Spuren davon. Halbversteckte, hintereinander verschobne Gebäude, große und kleine Fenster an derselben Wand, seitwärts angebrachte Türen, vor- und rückspringende Winkel, zuweilen eine hohe kahle Mauer mit reich verziertem Sims, einzelne Türme, weit vortretende Dächer und unsymmetrisch gestellte Balkone, kurz überall eine großartige, aber keineswegs unharmonische Unregelmäßigkeit, welche die Phantasie anspricht, weil das Motiv für jede Abweichung von der Regelmäßigkeit zugleich sich mit ausspricht, oder doch geahndet werden kann.

KEB: Ästhetik ist eine Sache, Zweckmäßigkeit der Gebäude eine andere...

Fürst von Pückler-Muskau: … Wenn nun aber harmonische Schönheit der zu erlangende Hauptgegenstand ist, so deutet dies schon an, dass auch Zweckmäßigkeit durchaus bei der Anwendung von Gebäuden erkennbar sein müsse. Ein gotisches Haus zum Beispiel, das eben weiter nichts ist, als ein gotisches Haus, ohne allen Grund dastehend, als weil man grade etwas Gotisches haben wollte, erregt ein unbehagliches Gefühl. Es ist ein Hors d'Oeuvre, als Wohnhaus unbequem, als bloße Dekoration ohne nötige Beziehung, und also nicht motiviert genug; erblickt man aber auf fernem Berge die Türme einer gotischen Kapelle aus den Baumkronen alter Bäume ragen, und erfährt, dies sei die Begräbniskirche der Familie, oder ein wirklich besuchter Tempel, irgendeinem Kultus geweiht, so fühlt man sich befriedigt, weil man Zweckmäßigkeit mit passender Zierde verbunden begegnete... Gebäude also sollen mit ihrer Umgebung in sinniger Berührung stehen, und immer einen bestimmten Zweck haben. Daher muss man sich auch mit Tempeln, die im Altertum eine ganz andre, volkstümliche, religiöse Bedeutung hatten, und ebenso mit nichtssagenden Monumenten sehr in acht nehmen, wenn sie nicht, statt einen tief erregenden Eindruck, den des Läppischen hinterlassen sollen.

KEB: Ein Wort zum Wohnhaus.

Fürst von Pückler-Muskau: … Das wichtigste Gebäude im Park ist natürlich das Wohnhaus. Es sollte nicht nur der Umgebung, sondern auch dem Stande, dem Reichtum, ja sogar dem Beruf des Besitzers angemessen sein ... So … wollen wir … nur feststellen, dass man allerdings die Aussicht vom Wohnhause seinem individuellen Geschmacke möglichst angemessen einrichten müsse, da man sie immer vor Augen hat, die Ansicht des Wohnhauses daher der Aussicht überall nachzustehen habe, während vielleicht bei den andern Parkgebäuden meistenteils das Gegenteil stattfinden möchte.

KEB: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Hermann Heinrich Fürst von Pücker-Muskau, geboren am 30. Oktober 1785 auf Schloss Muskau, gestorben am 4. Februar 1871 auf Schloss Branitz, war Offizier im Rang eines Generalleutnants, Weltreisender, Landschaftsarchitekt und Schriftsteller und gilt unter Kennern als landschaftskünstlerisches Genie. Seine Weiterentwicklungen des englischen Parks in den Landschaftsparks von Muskau und Branitz sind weltberühmt.
Gespräch mit dem Herzog von Saint-Simon

Versailles: Ein Eiland der Trübsal und Hässlichkeit

Kurt E. Becker im Gespräch mit dem Herzog von Saint-Simon

KEB: Hoheit, aufgrund Ihrer Stellung hatten Sie einen sehr intimen Einblick in das Leben am Hof von Ludwig XIV. von Frankreich. Ihre zu Recht berühmten Memoiren geben darüber reichlich und kritisch Aufschluss – auch über die Bauaktivitäten ihres Königs. In diesem Zusammenhang bezeichnend: Ihr Urteil über die Lage des Herrschaftssitzes…

Saint-Simon: Versailles ward erwählt. Der trübseligste, undankbarste aller Orte, aussichts-, wald- und wasserarm, wo der Boden Sand oder Sumpf und die Luft infolgedessen ungesund war.

KEB: Ihr Urteil über die Baukünste Ludwig XIV. ist eindeutig.

Saint-Simon: Es gefiel ihm, auch die Natur gewaltsam zu beherrschen, sie der Kunst und dem Gelde zu unterwerfen. Planlos reihte er ein Gebäude neben das andere, Hässliches und Schönes, Großartiges und Kleinliches, alles bunt durcheinander. Eng und unbequem, finster und ohne Aussicht sind sogar seine und der Königin Räume. Die Gärten verraten erstaunliche Prachtliebe. Aber sie sind geschmacklos und laden nicht zum Aufenthalt ein. Man erreicht den Schatten der Bäume erst, nachdem man ein großes Stück Sandwüste durchquert hat. Dann steht man auf dem Hügel – und hier ist das Ende der Gärten. Die Wege sind mit Kies bedeckt. Man zerschneidet sich beinahe die Sohlen darauf, würde aber ohne ihn bald im Sand, bald im Schlamm versinken.

Überall ist die Natur vergewaltigt worden, und man mag wollen oder nicht: man wird davon abgestoßen und angewidert. Das Wasser, das man von allen Seiten herbeigeleitet und angesammelt hat, ist grün, dick, schlammig. Es steigt eine fühlbar ungesunde, feuchte Luft daraus empor. Die spielenden Wasserkünste freilich bieten einen unvergleichlichen Anblick. Es hat alles zwei Seiten. Daher wird man einesteils angezogen, andernteils abgestoßen.

KEB: Und das Gebäude-Ensemble an sich?

Saint-Simon: Nach dem Hofe zu ist alles erstickend eng und zusammengedrängt. Von der Gartenseite aus hat man von dem Schloss einen Gesamteindruck. Aber es sieht aus wie ein Schloss nach einem Brande, oder wie eins, dem Oberstock und Dach fehlen. Es wird von der Kapelle erdrückt. … Sie sieht düster aus wie ein Riesensarg. Die Einzelarbeit daran ist erlesen, während das Ganze nichts taugt. Am besten ist der Chor, denn ins Schiff hinunter ging der König kaum. Wozu noch weiter von den ungeheuerlichen Fehlern des Riesenpalastes reden, der Unsummen verschlungen hat, mit allem, was dazu gehört: Gewächshäusern, Obstgärten, Hunde- und Pferdeställen, den zahllosen Gesindehäusern? Das ist eine ganze Stadt, wo ehedem nur ein elendes Wirtshaus stand, eine Windmühle und jenes Gartenschlösschen, das Ludwig XIII. hatte bauen lassen.

Mit einem Wort: das Versailles Ludwigs des Vierzehnten ist ein geschmackloses Machwerk, dazu unvollendet. Trotz der großen Menge der Säle gibt es nicht einen einzigen wirklich großen Theater-, Bankett- oder Ballsaal. Überall bleibt noch sehr viel zu tun. Park und Alleen stehen so dichtgedrängt voller Bäume und Sträucher, dass sie keine Luft haben. Beständig muss neues Wild ausgesetzt werden. Wassergräben, vier bis fünf Meilen lang, gibt es im Überfluss, ebenso dicke Mauern, die das Ganze wie ein Eiland der Trübsal und Hässlichkeit umschließen.

KEB: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Louis de Rouvroy, Duc de Saint-Simon, geboren am 16. Januar 1675 in Versailles, gestorben am 2. März 1755 in Paris, nicht zu verwechseln mit Henri Saint Simon, einem jüngeren entfernten Verwandten, war ein französischer Politiker und Schriftsteller. Er war Mitglied des französischen Hochadels und hatte unter König Ludwig XIV. verschiedene Staatsämter inne. Seine Memoiren liefern eine gute Beschreibung der „Baukünste“ seines Königs.
Gespräch mit Arthur Schopenhauer

Stütze und Last

Kurt E. Becker im Gespräch mit Arthur Schopenhauer

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Alphons Silbermann

„Profanbauten mit Geist und Seele“

Kurt E. Becker im Gespräch mit Alphons Silbermann

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Georg Simmel

Stimmung des Friedens

Kurt E. Becker im Gespräch mit Georg Simmel

KEB: Heute sprechen wir über den „natürlichen“ Verfall von Bauwerken, Herr Simmel. Was hat es also aus Ihrer Sicht mit der „Ruine“ auf sich? „Ein ästhetischer Versuch“ – so lautet Ihre Ankündigung im Zusammenhang mit diesem interessanten Thema.

Simmel: Die Baukunst … benutzt und verteilt zwar die Schwere und die Tragkraft der Materie nach einem nur in der Seele möglichen Plane, allein innerhalb dieses wirkt der Stoff mit seinem unmittelbaren Wesen, er führt gleichsam jenen Plan mit seinen eigenen Kräften aus. Es ist der sublimste Sieg des Geistes über die Natur – wie wenn man einen Menschen so zu leiten versteht, dass unser Wollen von ihm nicht unter Überwältigung seines eigenen Willens, sondern durch diesen selbst realisiert wird, dass die Richtung seiner Eigengesetzlichkeit unsern Plan trägt.
Diese einzigartige Balance zwischen der mechanischen, lastenden, dem Druck passiv widerstehenden Materie und der formenden, aufwärts drängenden Geistigkeit zerbricht aber in dem Augenblick, in dem das Gebäude verfällt. Denn dies bedeutet nichts anderes, als dass die bloß natürlichen Kräfte über das Menschenwerk Herr zu werden beginnen: Die Gleichung zwischen Natur und Geist, die das Bauwerk darstellte, verschiebt sich zugunsten der Natur.

KEB: Der Verfall als „Rache der Natur“ an der Vergewaltigung durch menschliches Hausen? Lässt sich die von Ihnen adressierte Verschiebung darauf fokussieren?

Simmel: Diese Verschiebung schlägt in eine kosmische Tragik aus, die für unser Empfinden jede Ruine in den Schatten der Wehmut rückt, denn jetzt erscheint der Verfall als die Rache der Natur für die Vergewaltigung, die der Geist ihr durch die Formung nach seinem Bilde angetan hat. Der ganze geschichtliche Prozess der Menschheit ist ein allmähliches Herrwerden des Geistes über die Natur, die er außer sich – aber in gewissem Sinne auch in sich – vorfindet. Hat er in den anderen Künsten die Formen und Ereignisse dieser Natur seinem Gebote gebeugt, so formt die Architektur deren Massen und unmittelbar eignen Kräfte, bis sie wie von sich aus die Sichtbarkeit der Idee hergeben. Aber nur solange das Werk in seiner Vollendung besteht, fügen sich die Notwendigkeiten der Materie in die Freiheit des Geistes, drückt die Lebendigkeit des Geistes sich in den bloß lastenden und tragenden Kräften jener restlos aus. In dem Augenblick aber, wo der Verfall des Gebäudes die Geschlossenheit der Form zerstört, treten die Parteien wieder auseinander und offenbaren ihre weltdurchziehende ursprüngliche Feindschaft: als sei die künstlerische Formung nur eine Gewalttat des Geistes gewesen, der sich der Stein widerwillig unterworfen hat, als schüttle er dieses Joch nun allmählich ab und kehre wieder in die selbständige Gesetzlichkeit seiner Kräfte zurück.

KEB: Eine interessante Sicht auf unser menschliches Hausen und Behaust-Sein. Ganz fraglos. Was bedeutet Ihnen denn vor diesem Hintergrund die Ruine als ein von der Natur demontiertes Bauwerk?

Simmel: Die Ruine des Bauwerks aber bedeutet, dass in das Verschwundene und Zerstörte des Kunstwerks andere Kräfte und Formen, die der Natur, nachgewachsen sind und so aus dem, was noch von Kunst in ihr lebt und was schon von Natur in ihr lebt, ein neues Gesetz, eine charakteristische Einheit geworden ist …
Anders ausgedrückt ist es der Reiz der Ruine, dass hier ein Menschenwerk ganz wie ein Naturprodukt empfunden wird. Dieselben Kräfte, die durch Verwitterung, Ausspülung, Zusammenstürzen, Ansetzen von Vegetation dem Berge seine Gestalt verschaffen, haben sich hier an dem Gemäuer wirksam erwiesen … Was den Bau nach oben geführt hat, ist der menschliche Wille, was ihm sein jetziges Aussehen gibt, ist die mechanische, nach unten ziehende, zernagende und zertrümmernde Naturgewalt. Aber sie lässt das Werk dennoch nicht, solange man überhaupt noch von Ruine und nicht von einem Steinhaufen spricht, in die Formlosigkeit bloßer Materie sinken, es entsteht eine neue Form, die vom Standpunkt der Natur aus durchaus sinnvoll, begreiflich, differenziert ist. Die Natur hat das Kunstwerk zum Material ihrer Formung gemacht, wie vorher die Kunst sich der Natur als ihres Stoffes bedient hatte.

KEB: Sie sprechen von einer einheitlichen Einordnung der Ruine in die Landschaft: Was hat es damit auf sich?

Simmel: So geht von der Ruine eine Stimmung des Friedens aus, weil in ihr das Gegenstreben jener beiden Weltpotenzen als ein ruhendes Bild rein naturhaften Daseins wirkt; weshalb denn auch die Ruine sich der umgebenden Landschaft einheitlich und, wie Baum und Stein mit ihr verwachsen, einordnet, während der Palast, die Villa und selbst das Bauernhaus, noch wo sie sich am besten der Stimmung ihrer Landschaft fügen, immer einer andern Ordnung der Dinge entstammen und mit der der Natur nur wie nachträglich zusammengehen.

KEB: Ich danke Ihnen für dieses erhellende Gespräch, verehrter Herr Simmel.

Georg Simmel, geboren 1858 in Berlin, gestorben 1918 in Straßburg war ein deutscher Philosoph und Soziologe. In seinem Hauptwerk „Die Philosophie des Geldes“ veranschaulicht er die Macht des Geldes mit dem simplen Beispiel, dass die Banken größer und mächtiger seien als die Kirchen. Sie seien die Mittelpunkte der Städte.
Gespräch mit Karl Simrock

Diese Brücke aus Holz, ein Meisterstück ihrer Art

Kurt E. Becker im Gespräch mit Karl Simrock

KEB: Herr Professor, lassen Sie uns über den Brückenbau als besondere Weise des Behaust-Seins miteinander sprechen. Der Ort der Brückenkonstruktion ist Schaffhausen am Rhein in der Schweiz.

Simrock: Schaffhausen selbst ist als Geburtsstadt Johannes von Müllers berühmt. In seinem Münster hängt die große, 1486 gegossene Glocke, welche die aus Schillers Gedicht berühmte Umschrift führt: „Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango.“ Was der sogenannte große Gott von Schaffhausen, der nach dem rheinischen Antiquarius 22 Fuß lang war, eigentlich für ein Heiliger gewesen ist, wird vielleicht noch auszumitteln sein. Der gleich benannte Schweizer Kanton, der einzige, der nach Graubünden noch auf der rechten Rheinseite liegt, bildet gleichsam den Brückenkopf zwischen Deutschland und der Schweiz.

KEB: Vom Brückenkopf zur Brücke...

Simrock: Um so weniger dürfen wir die merkwürdige Brücke vergessen, welche ehemals die Stadt mit dem jenseits liegenden Züricher Flecken Feuerthalen verband. Diese Brücke... war zwar nur aus Holz, aber ein Meisterstück in ihrer Art, ein Hängewerk, das, außer an den Ufern, nur auf einem einzigen Pfeiler ruhte oder vielmehr auch auf diesem nicht einmal ruhte, wenigstens ist darüber gestritten worden. Man behauptet nämlich, des Künstlers Plan wäre gewesen, nur einen einzigen Bogen über den Fluß zu legen; da er aber von der Stadtobrigkeit angewiesen worden war, sich jenes von einer ehemaligen steinernen Brücke noch vorhandenen Pfeilers zu bedienen, so hätte er zum Schein dem Befehl sich gefügt, aber seine Baueinrichtungen auf eine Art gemacht, daß in der Tat gleichwohl kein Teil durch denselben getragen worden sei.

KEB: Was wissen wir von diesem Brückenkünstler?

Simrock: Dieser Künstler war nur ein gewöhnlicher Zimmermann von Tuffen im Kanton Appenzell, Hans Ulrich Grubenmann mit Namen, und man muß gestehen, daß in dieser Hinsicht, auch angenommen, daß durch den gedachten Pfeiler wirklich zwei Bogen entstanden wären, die Brücke dennoch Bewunderung verdient hätte, denn immerhin wären, da diese in ihrer Ausdehnung 364 englische Fuß betrug, auf die Öffnungen der beiden Bögen folgende Maße gekommen: auf die des größten 193 und auf die des kleinsten 171 Fuß. Ein einzelner Fußgänger, der über dieselbe hinschritt, fühlte das Gerippe unter seinen Füßen zittern, und dennoch trug sie schwerbeladene Lastwagen wie jede andere.

KEB: Ein Wort zur Brücke, deren Kosten und Geschichte.

Simrock: Ihr Bau, der von 1754 an in drei Jahren vollendet wurde, hatte über 60 000 Reichstaler gekostet; ein einziger Tag vernichtete sie, da sie in dem Krieg zwischen Österreich und Frankreich zu Anfang dieses Jahrhunderts bei einem Rückzug der Franzosen in Brand gesteckt wurde.

KEB: Ich danke für das Gespräch.

Karl Joseph Simrock, geboren am 28. August 1802 in Bonn, gestorben am 18. Juli 1876 ebenda, war ein deutscher Dichter und Philologe. Er wurde 1850 außerordentlicher und 1853 ordentlicher Professor für die Geschichte der deutschen Sprache und Literatur der Bonner Universität.
Gespräch mit Rudolf Steiner

Anthroposophische Architektur – Formen des organischen Lebens

Kurt E. Becker im Gespräch mit Rudolf Steiner

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Stendhal

Säulen wirken auf mich in der Architektur, wie die Melodie in der Musik

Kurt E. Becker im Gespräch mit Stendhal

KEB: Herr Stendhal, lassen Sie uns über Kunst und zunächst vor allem Architektur als wesentliche Komponenten kulturellen Behaust-Seins miteinander sprechen. Während Ihrer Militärzeit waren Sie lange Jahre in Italien. Was waren Ihre Impressionen?

Stendhal: Was der Italiener am allermeisten liebt, das ist die Architektur seines Hauses. Nach der Musik ist es die Architektur, die seine Seele am tiefsten berührt. Ein Italiener hält vor einer schönen Thür, die man an einem neuen Hause baut, eine Viertelstunde an und geht davor hin und her. Ich begreife diese Leidenschaft.

KEB: In Mailand hatte Ihnen was am besten gefallen?

Stendhal: Was mir in Mailand am besten gefällt, das sind die Höfe im Innern der Gebäude. Ich finde da immer eine Menge Säulen, und Säulen wirken auf mich in der Architektur, wie die Melodie in der Musik.

KEB: Die Blume Florenz hatte Sie in besonderer Weise beeindruckt.

Stendhal: Mit großen weißen Steinblöcken gepflastert, ist Florenz von seltener Reinlichkeit. Man riecht die Reinlichkeit förmlich in seinen Straßen. Wenn man einige holländische Flecken ausnimmt, so ist Florenz vielleicht die sauberste Stadt der Welt. Jedenfalls ist es eine der elegantesten. Seine griechisch-gothische Architektur hat alle Sauberkeit und Peinlichkeit der Ausführung wie ein schönes Miniaturbild. Zum Glück für die materielle Schönheit von Florenz verloren seine Bewohner, mit der Freiheit, auch alle zum Bauen im großen Stil notwendige Thatkraft. So wird das Auge hier nicht beleidigt durch jene unwürdigen Fassaden eines Piermarini, und nichts stört die schöne Harmonie dieser Straßen, wo die ideale Schönheit des Mittelalters atmet. An hundert Orten in Florenz kann sich der Reisende im Jahre 1500 wähnen. Aber trotz der seltenen Schönheit so vieler von Größe und Melancholie erfüllter Straßen und Plätze, kann doch nichts dem Palazzo Vecchio verglichen werden. Die strenge Wirklichkeit des Mittelalters im Palazzo Vecchio, rings umgeben von Werken der großen Kunst, bildet einen erschütternden Kontrast zu der Unbedeutendheit der modernen »Marchesini«. Mit Staunen und Bewunderung steht man vor den Meisterwerken der alten Zeit, gezeugt von der Kraft der Leidenschaften, und dann sieht man, wie später alles unbedeutend wird, kleinlich, verrenkt, sobald der Sturm der Leidenschaften aufhört das Segel zu schwellen, das die menschliche Seele vorwärts treiben muß, jene Seele, die nichtig und armselig wird, wenn sie ohne Leidenschaften ist, das heißt, ohne Laster und Tugenden

KEB: Ein Wort zu Sankt Peter und seinen Baumeistern, insbesondere zu Michelangelo..

Stendhal: Nichts läßt in der Architektur von St. Peter die Anstrengung merken; alles scheint groß von Natur zu sein. Die Gegenwart des Genies eines Bramante und Michelangelo macht sich so fühlbar, daß Lächerlichkeiten hier nicht mehr lächerlich sind, sie sind nur bedeutungslos. Michelangelo kannte die Griechen, wie Dante den Virgil. Sie bewunderten beide, aber sie kopierten nicht. Darum spricht man von ihnen noch nach Jahrhunderten..Im Charakter Michelangelo's lag zu viel Stolz, seine Verachtung für die Steinverhunzer, wie er die zeitgenössischen Architekten nannte, war zu aufrichtig, er war darum kaum danach angethan, einen nennenswerten Einfluß auf die jungen Leute auszuüben, die reichen Greisen den Hof machten und von ihnen beauftragt wurden, Kirchen zu bauen. Aber diese Künstler, heute längst vergessen, glaubten alle Michelangelo nachzuahmen. Und so pflegte er zu sagen: Mein Stil ist bestimmt, viele Dummköpfe zu machen.

KEB: Sie haben ein einprägsames Urteil zum Schönen.

Stendhal: Der Unterschied zwischen dem modern Schönen und dem antik Schönen entspricht genau dem Unterschied, der besteht zwischen dem Salon und dem Forum.

KEB: Höchst interessant Ihre ironisierende Kritik an Immanuel Kants philosophischer Ästhetik.

Stendhal: Man braucht keine Gründe, um ein Kunstwerk schön zu finden. Es macht einfach dem Auge Vergnügen. Ohne diese instinktive oder wenigstens unbewußte Freude des ersten Augenblicks giebt es weder Malerei noch Musik. Dennoch habe ich in Königsberg Leute kennen lernen, die auf dem Weg des Verstandes und durch metaphysische Vernunftgründe hindurch zum Genuß der Kunst gelangen wollten. Die Nordländer urteilen auch in der Kunst nach vorgefaßten Schul-Meinungen, die Südländer aber darnach, ob etwas ihren Sinnen augenblicklich eine Lust und eine Freude ist.

KEB: Last not least Ihre Einsichten zum Künstler an sich.

Stendhal: Er ist weit entfernt, den groben Vergnügungen nachzugehen, er flieht sie vielmehr; sie würden seine geistigen Fähigkeiten zerstören und seine Kraft, das Erhabene zu empfinden und darzustellen, abschwächen. Er opfert dem Durste nach unsterblichem Ruhme alles, Leben und Gesundheit. Das wirkliche Dasein ist ihm nur das gemeine Gerüst, durch welches er seinen Ruhm erheben will, er lebt nur in der Zukunft. Man sieht ihn die Menschen fliehen, sich in Einsamkeit vergraben, sich kaum die nötigste Nahrung gestatten. Zum Lohn für soviel Sorgen, wenn er der Sohn eines heißen Himmels ist, wird er Extasen haben, wird er Meisterwerke schaffen, wird er halb wahnsinnig in der Mitte seiner Laufbahn sterben. Und von solch einem Mann verlangt unsre ungerechte Gesellschaft, daß er weise, maßvoll und klug sei? Wenn er klug wäre, würde er dann sein Leben dahingeben, um euch zu gefallen, euch braven und mittelmäßigen Tröpfen?

KEB: Ich danke für das Gespräch.

Marie-Henri Beyle, besser bekannt unter seinem Pseudonym Stendhal, geboren am 23. Januar 1783 in Grenoble, gestorben am 23. März 1842 in Paris, war ein französischer Schriftsteller, Militär und Politiker. Zu seiner Zeit eher als Journalist, Kritiker und Essayist bekannt, gilt er heute aufgrund der analytischen Charakterbilder seiner Romane als einer der frühesten Vertreter des literarischen Realismus. Realismus kennzeichnet auch seine kenntnis- und erfahrungsreichen Urteile über Kunst und Architektur.
Gespräch mit Otto Wagner

Unsere Lebensweise hat die Uniformität unserer Wohnhäuser zur Folge

Kurt E. Becker im Gespräch mit Otto Wagner

Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021

Gespräch mit Vitruv

Den Aufwand bei Gebäuden angemessen machen

Kurt E. Becker im Gespräch mit Vitruv

KEB: Herr Vitruv, Ihre zehn Bücher über Architektur gelten als erstes Werk überhaupt in lateinischer Sprache zu diesem essenziellen Thema behausten Menschseins in der Kulturgeschichte. Lassen Sie uns also bitte über Ihre Gedanken zu den Grundlagen der Baukunst miteinander sprechen. Was sind diese Grundlagen?

Virus: Die Baukunst … beruht auf folgenden Grundlagen: auf der Anordnung, … auf der Verzeichnung, … auf der Eurythmie, auf der Symmetrie, auf der Angemessenheit und auf der Verwendung, welche auf Griechisch Oikonomia heißt.

KEB: Lassen Sie uns diese Komponenten im Einzelnen abhandeln, bitte.

Virus: Die Anordnung ist eine maßvolle und zweckmäßige Bestimmung der einzelnen Glieder eines Gebäudes für sich und ein symmetrisches Zurechtlegen der Verhältnisse des Ganzen … Die Verzeichnung ist das passende räumliche Anbringen der Bestandteile und das Erzielen einer hinsichtlich ihrer Bestimmung gewählten Zusammenstellung der Bestandteile eines Gebäudes … Die Eurythmie ist das Ansprechende im Aussehen und ein hinsichtlich der Zusammenstellung der Glieder behaglicher Anblick. Sie wird erzielt, wenn die Glieder des Gebäudes im richtigen Verhältnis der Höhe zur Breite, der Breite zur Länge stehen und überdies alle ihren symmetrischen Gesamtverhältnissen entsprechen.
Die Symmetrie ferner ist die aus den Gliedern des Gebäudes selbst sich ergebende Übereinstimmung und das entsprechende Verhältnis eines nach den einzelnen Teilen berechneten (größeren) Teiles zum Totalanblick.
Die Angemessenheit ist das tadellose Aussehen eines aus erprobten Bestandteilen mit Rücksicht auf das anerkannte Herkommen aufgeführten Gebäudes. Diese ergibt sich durch Satzung … oder durch Gewohnheit oder durch die Natur der Sache.
Die auf Gewohnheit beruhende Angemessenheit kommt dadurch zum Ausdruck, wenn man bei Gebäuden, die im Innern prächtig sind, ebenfalls entsprechende und glänzende Vorhallen anbringen wird; wenn nämlich die inneren Räume ein glänzendes Aussehen, die Zugänge aber ein gemeines und unansehnliches haben, so werden sie der Angemessenheit entbehren.

KEB: Abschließend ein Wort zur Verwendung beziehungsweise zur Oikonomia, bitte.

Vitruv: Die Verwendung aber ist die zweckmäßige Verteilung des Materials und des Raumes und eine sparsame und berechnete Mäßigung des Aufwands bei Bauwerken. Diese wird so beachtet, wenn fürs Erste der Baumeister das nicht verlangt, was nicht gefunden oder beschafft werden kann, außer um hohen Preis …

KEB: Im Konkreten heißt das was?

Vitruv: Der Standpunkt der Verwendung wird ein anderer sein, wenn mit Rücksicht auf den Gebrauch von Familienvätern (Vermietung) oder wenn mit Rücksicht auf Geldreichtum oder mit Berücksichtigung der Würde eines öffentlichen Amtes die Gebäude verschieden angelegt werden. Denn anders dürften städtische Häuser errichtet werden müssen, anders diejenigen, in welchen die Feldfrüchte von den ländlichen Besitzungen aufgehäuft werden (Magazine), nicht in gleicher Weise die Häuser für Kapitalisten, anders für reiche und üppige Leute; den Machthabern aber, durch deren Gedanken der Staat gelenkt wird, werden sie nach ihrem Bedürfnis eingerichtet werden, und überhaupt ist der Aufwand bei den Gebäuden allen Personen angemessen zu machen.

KEB: Herr Vitruv, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Vitruv, nicht verbürgt auch unter dem Namen Marcus Vitruvius Pollio da und dort erwähnt, lebte im 1. Jahrhundert v. Chr., mutmaßlich geboren 80–70 v. Chr., gestorben um das Jahr 15 v. Chr., war ein römischer Architekt und Architekturtheoretiker, dessen zehn Bücher über Architektur das einzige erhaltene antike Werk über Architektur sind.